Badekulturen

Geschichte des europäischen Badewesens

(Teil 10)

Es dauerte lange, bis das billige und leicht zu installierende Brausebad seinen Siegeszug antreten konnte. Schon im Jahre 1832 hatte Friedrich Ludwig Meissner in seiner Schrift "Abhandlung über die Bäder im Allgemeinen und über die neuen (Köperlinschen) Apparate zu Sprudel-, Sturz- und Dampfbädern insbesondere" als Ersatz für Schwimmbäder den Bau transportabler Duschen unter dem Namen "Militärbad" empfohlen. Doch erst ein halbes Jahrhundert später gelang es dem Berliner Dermatologen Oscar Lassar, Meissners Gedanken zu verwirklichen. Im Rahmen der Berliner Ausstellung auf dem Gebiet der Hygiene und des Rettungswesen, die in den Jahren 1882 und 1883 viele Schaulustige anlockte, zeigte Lassar sein Volksbrausebad. Das acht Meter lange und fünf Meter breite Wellblechhäuschen enthielt je fünf Duschzellen für Männer und Frauen, die von mehr als 10.000 Besuchern benutzt wurden. Zwei Jahre später erhielt die deutsche Hauptstadt das erste Brausebad. Im gleichen Jahr stellte Oscar Lassar in seiner Schrift "Bade- und Waschanstalten "fest: "Verglichen mit der eigenen Vergangenheit ist Deutschland zur Jetztzeit in beklagenswerter Weise arm an öffentlichen und privaten Bädern. Während vor dem Dreißigjährigen Krieg jedes Dorf seine eigene Badestube besaß und derselben in dem Kultur- und Sozialleben eine geradezu hervorragende Rolle zufiel, sind nunmehr die Badegewohnheiten der Gesamtheit auf ein mehr als bescheidenes Maß herabgegangen". In der im Jahre 1887 veröffentlichte Schrift "Über Volksbäder" nahm Lassar dieses Thema erneut auf. Er schrieb darin, daß in Deutschland auf etwa 50.000 Einwohner nur eine einzige Warmbadeanstalt käme. Die meisten dieser Bäder seien zu klein, nur dürftig ausgestattet und wären wegen der hohen Preise wenig besucht. Der durchschnittliche Preis von 50 Pfennig sei "unerschwinglich für den Arbeiter". Zur Zeit könne etwa ein Sechstel der Einwohner nie ein warmes Reinigungsbad nehmen. Besonders dramatisch seien die Verhältnisse auf dem Lande. Lassar schlug vor, in den großen Städten und in den Fabriken billige Brausebäder zu schaffen. Seine Losung "Jedem Deutschen wöchentlich ein Bad" zeigt, wie schlimm es um die hygienischen Verhältnisse bestellt war. Lassar ließ sich nicht entmutigen. Unter seiner Leitung entstand im Jahre 1899 die "Deutsche Gesellschaft för Volksbäder", die sich für den Bau von Stadtbädern und Schwimmhallen einsetzte. Oft aber blieb der Erfolg aus. So bemühte sie sich zum Beispiel um den Bau einer Schwimmhalle in Rostock. Nach ersten Vorschlägen im Jahre 1906 und einem Projekt 1910, dem durch Brause- und Wannenbäder ergänzten Schwimmbad auch eine Volksbibliothek anzuschließen, kam es endlich in den zwanziger Jahren zu Probebohrungen und sogar zur Veröffentlichung von Ansichten des Bades, bevor der Plan im Jahre 1938 dem Rotstift zum Opfer fiel. Doch werfen wir noch einen Blick auf das Jahr 1906. Eine Statistik wies aus, daß es in jenem Jahr in Deutschland 2.847 Badeanstalten mit etwa 250 Schwimmbädern und insgesamt rund 19.000 Badewannen gab - eine Badewanne für 3.2oo Einwohner! Dabei muß berücksichtigt werden, daß noch 25 Jahre später nur etwa 50 Prozent der Beamten, 30 Prozent der Angestellten und zehn Prozent der Arbeiter eine Badegelegenheit in ihrer Wohnung besaßen.

Wie bereits erwähnt, entstanden in einigen größeren europäischen Städten im Zusammenhang mit dem Bau der Stadtbäder auch die ersten Schwimmhallen. Zwar gab es schon vorher Schwimmbecken in geschlossenen Räumen, so etwa in dem im Jahre 1828 eröffneten Hamburger Wilhelminen - Bad. Doch als erstes deutsches Hallenschwimmbad gilt die im Jahre 1855 fertiggestellte Badeanstalt in der Berliner Schillingstraße. Als vorbildlich wurde das im Juni des Jahres 1869 nach einem Umbau wiedereröffnete Leipziger Sophienbad angesehen. In der 19 Meter hohen Halle befand sich ein 18 Meter langes und sieben Meter breites Bassin. Ein Teil des Beckens war durch Taue für Nichtschwimmer abgeteilt, während der größere Teil, dessen Tiefe 0,85 bis 2,75 Meter betrug, den Schwimmkundigen vorbehalten blieb. Da das Sophienbad wie sein Wiener Namensvetter Gasbeleuchtung besaß, herrschte dort auch in den späten Abendstunden fröhliches Treiben. Auch konnte zu jeder Jahreszeit Schwimmunterricht erteilt werden. Ein besonderes Bad stand den Kurgästen in Baden-Baden zur Verfügung. In der Mitte des um 1880 gebauten Hallenbades befand sich ein kreisrundes Schwimmbecken, ausgekleidet mit weißem Marmor. Zwar betrug seine Tiefe nur 1,22 Meter, dafür badete man aber in stets erneuertem Thermalwasser, das durch einen Wasserfall bewegt wurde. Auch in anderen Kurorten entstanden Thermal-Hallenschwimmbäder, so in Bad Landeck das im Jahre 1880 vollendete "Marienbad". Selbst Wellenbäder spielten hier und da eine Rolle. Schon um 1875 konnten sich z.B. die Badelustigen auf Helgoland in einem Seewasserbecken mit künstlich erzeugtem Wellenschlag tummeln. Vergleicht man die Zahl der Bäder in Deutschland und England, so fällt der riesige Vorsprung auf, den das Mutterland des Sports besaß. Um 1890 gab es in Deutschland insgesamt 52 überdachte Schwimmbecken in 39 Städten - allein in der britischen Hauptstadt zählte man zu jener Zeit 70.

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